Der Jemen steht nach mehr als einem Jahrzehnt des Bürgerkriegs vor einer möglichen neuen Phase der schweren Eskalation. Ein von Saudi-Arabien angeführtes Militärbündnis bombardierte dort am Dienstagmorgen den Hafen von Mukalla mit der Erklärung, die Vereinigten Arabischen Emirate hätten mit zwei Schiffen Waffen und Fahrzeuge für Separatisten im Land liefern wollen. Es ist eine offene und beispiellose Konfrontation der beiden Golfstaaten im Jemen, die eigentlich verbündet sind im Kampf gegen die Huthi-Miliz.
Am Nachmittag verkündeten die Emirate überraschend den Abzug ihrer verbliebenen Truppen aus dem Jemen. Der Schritt erfolge «angesichts der jüngsten Entwicklungen» im Land, teilte das emiratische Verteidigungsministerium der Staatsagentur WAM zufolge mit. Damit dürfte Abu Dhabi sich zumindest vorerst dem Druck aus Riad gebeugt haben.
Im Jemen, ein verarmtes Land auf der Arabischen Halbinsel, gibt es seit Jahren einen Bürgerkrieg und eine humanitäre Katastrophe von dramatischem Ausmaß. Der Krieg wird vor allem ausgetragen zwischen der Huthi-Miliz einerseits und einem Bündnis aus Saudi-Arabien, den Emiraten und der jemenitischen Regierung andererseits. Die Emirate und Saudi-Arabien sind aber auch Rivalen, die in der Region um Einfluss und Ressourcen ringen. Auch im Sudan-Konflikt unterstützen sie etwa unterschiedliche Seiten.
Saudi-Arabien beschuldigte die Emirate nun erstmals direkt, die Separatisten des sogenannten Südlichen Übergangsrats (STC) im Jemen zu unterstützen und diese im Jemen zu «Militäreinsätzen» an der Grenze zu Saudi-Arabien zu «zwingen». Die Schritte der Emirate seien «hochgefährlich» – die Bedrohung der nationalen Sicherheit Saudi-Arabiens sei eine «rote Linie», auf die man umgehend antworten werde. Der STC wurde 2017 gegründet mit Unterstützung der Emirate. Die Separatisten streben eine Abspaltung vom Norden an in dem Land, das von 1967 bis 1990 bereits geteilt war.
Aufnahmen nach dem Angriff vom Dienstagmorgen zeigten ausgebrannte Geländewagen und gepanzerte Fahrzeuge am Hafen von Mukalla. Das Militärbündnis teilte mit, man habe dort einen «begrenzten Militäreinsatz» durchgeführt, bei dem es keine Opfer oder «Kollateralschaden» gegeben habe. Auch von jemenitischer Seite gab es keine Berichte über Opfer.
Die Separatisten hatten Anfang Dezember große Gebiete in den ölreichen Provinzen Hadramaut und al-Mahra unter ihre Kontrolle gebracht und die Regierungstruppen wie auch Riad damit unter Druck gesetzt. Vor einigen Tagen berichteten der STC bereits von Luftangriffen, die Beobachter als Warnschüsse Riads bewerteten.
Die Emirate schienen die drohende Eskalation mit dem saudischen Partner abwenden zu wollen. In einer Mitteilung sprach Abu Dhabi von einer «Zeit, die Abstimmung auf höchster Ebene, Zurückhaltung und Weisheit» erfordere, wie die Staatsagentur WAM berichtete. Zugleich wiesen die Emirate Vorwürfe über angebliche Waffenlieferungen zurück. Die Lieferung mit zwei Schiffen habe keine Waffen enthalten, sondern Fahrzeuge für emiratische Truppen im Jemen. Ob und wie viele Truppen die Emirate im Jemen haben, ist nicht bekannt. Dass Abu Dhabi den vollständigen Abzug seiner Truppen ankündigt, ist ein klarer Schritt in Richtung Deeskalation.
Der Konflikt der eigentlichen Partner spielte sich schnell auch innerhalb der jemenitischen Regierung ab. Der mit Riad verbündete Vorsitzende des Präsidialrats, Raschad al-Alimi, bezeichnete das Abkommen mit den Emiraten zum gemeinsamen Kampf gegen die Huthi für beendet und forderte den sofortigen Abzug emiratischer Truppen. «Alle emiratischen Truppen müssen sich innerhalb von 24 Stunden von jemenitischem Hoheitsgebiet zurückziehen», sagte er in einer im Fernsehen übertragenen Ansprache. Er verkündete auch einen Ausnahmezustand für 90 Tage im Jemen und eine 72 Stunden geltende Luft-, Land- und Seeblockade.
Wenige Stunden später bezeichneten die vier Ratsmitglieder, die mit Abu Dhabi verbündet sind, diese Ankündigung dann als Alleingang al-Alimis. Dieser habe keine Befugnis, «einseitig souveräne, militärische oder strategische politische Entscheidungen zu treffen», hieß es in einer Erklärung der vier Mitglieder – andernfalls seien solche Beschlüsse ungültig.
Damit kam Verwirrung auf, ob das Bündnis der zwei Golfstaaten im Kampf gegen die Huthi nun noch erhalten werden könnte oder ob, wie einige Experten vermuteten, eine neue Phase der Kämpfe im Jemen bevorsteht. Diese könnte mit dem emiratischen Abzug erst einmal abgewendet sein, auch wenn die Separatisten im Land an ihren Forderungen festhalten dürften.
Sadik al-Wisabi, ein politischer Beobachter im Jemen, sprach nach den Angriffen von Mukalla von einer «beispiellosen militärischen und politischen Eskalation». Diese sei aber erwartbar gewesen, weil es im Bündnis zwischen Riad und Abu Dhabi zunehmend Risse und Differenzen über die strategischen Ziele gegeben habe. «Der Jemen wird jetzt in eine Phase der Ungewissheit steuern», sagte al-Wisabi der dpa. Im Fall neuer Kämpfe könnten diese sich vor allem im Osten abspielen.
Der Krieg im Jemen begann 2014, als die vom Iran unterstützt Huthi-Miliz den Norden und die Hauptstadt Sanaa überrannte. 2015 begann Saudi-Arabien, deren Ziele zu bombardieren. Die Emirate schickten ebenfalls Truppen, zogen 2019 aber wieder ab. Während Saudi-Arabien vor allem um die eigene Sicherheit besorgt ist durch Kämpfe in dem Nachbarland, will Abu Dhabi sich den strategisch wichtigen Zugang zum Golf von Aden im Südjemen und den dortigen Häfen sichern.
Quelle: dpa